Im Rahmen des Themenjahres „Zerstörte Vielfalt – Berlin 1933 – 1938“ und der „Triennale der Moderne Berlin – Dessau – Weimar 2013“ führt die Gesellschaft zur Erforschung des Lebens und
Wirkens deutschsprachiger jüdischer Architekten in Kooperation mit den Staatlichen Museen zu Berlin – Kunstbibliothek am 10.10.2013 den „Tag der jüdischen Architekten“durch. Architekten, Historiker und Kunstwissenschaftler geben in ihren Vorträgen Auskunft über ihre Forschungen zu oftmals vergessenen Architekten und deren Werk.
Programm
- 14 Uhr: Führung durch die Mendelsohn-Ausstellung
„Drei Kontinente – sieben Länder. Werke von Erich Mendelsohn aus der Architektursammlung der Kunstbibliothek; Elke Blauert , Kuratorin - 15.00 Uhr: Begrüßung; Prof. Dr. Moritz Wullen, Direktor der Kunstbiliothek
- 15.15 Uhr: Einführung zum Tag der jüdischen Architekten; Dr. Günter Schlusche
- 15.15 Uhr: Vortrag Prof. Dr. Regina Stephan (FH Mainz):
„Wir haben nur Boden unter den Füßen, wenn wir bodenständig sind. Und das ist uns genommen.“ – Erich und Luise Mendelsohns Leben in Briefen. - 16.00 Uhr: Vortrag Dr. Sylvia Necker (Hamburg), Dr. Ulrich Knufinke (Wolfsburg):
„Jüdische Architekten – Lebenswege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ - 16.45 Uhr: Kaffeepause
- 17.15 Uhr: Vortrag Claudia Marcy (Berlin):
„Martin Punitzer – Leben und Werk“ - 18.00 Uhr: Vortrag Prof. Dr. Wolfgang Schäche (Beuth Hochschule Berlin):
„Paul Zucker – Ein vergessener Architekt“; mit anschliessender Diskussion - 19.30 Uhr: Ende der Veranstaltung
Eintritt frei
Dr. Günter Schlusche
Einführungstext
Anfang des 20. Jahrhunderts lebten und arbeiteten über 500 jüdische Architekten in Deutschland, die meisten davon in Berlin. Sie hatten sich oft der Moderne und dem Neuen Bauen verschrieben, ihre Gebäude waren mutige Beispiele dieser neuen Bauaufgaben und ihrer Ästhetik. Ab dem 1. November 1933 wurde mit Inkrafttreten des Reichskulturkammer-Gesetzes allen jüdischen Architekten Berufsverbot erteilt. Viele von ihnen, die nicht auswandern oder fliehen konnten, wurden Opfer des Holocaust. Trotz ihrer großen Bedeutung für die deutsche Architektur und für die Entwicklung Berlins ist ein Großteil dieser Architekten in Vergessenheit geraten.
Im Rahmen der „Triennale der Moderne“ und des Berliner Themenjahres „Zerstörte Vielfalt – Berlin 1933- 1938-1945“ findet in den Staatlichen Museen – Kunstbibliothek parallel zur Ausstellung über Erich Mendelsohn ein „Tag der jüdischen Architekten“ statt, an dem Architekten, Historiker und Kunstwissenschaftler in Vorträgen Auskunft über ihre Forschungen zu einigen dieser Architekten und ihrem Werk geben.
Vortrag Prof. Dr. Regina Stephan, Darmstadt
„Wir haben nur Boden unter den Füßen,
wenn wir bodenständig sind. Und das ist uns genommen“
Erich und Luise Mendelsohns Leben in Briefen
Die künstlerische Aufbruchssituation im München der Kaiserzeit, das Grauen des Ersten Weltkriegs, die mühsamen ersten Jahre der Weimarer Zeit und die Roaring Twenties, der früh erkannte Schatten des Nationalsozialismus und dessen rasend schnelle Übernahme der Macht im Frühjahr 1933, der konsequente Schritt in die Emigration und dessen Bedingungen in Großbritannien, das Pendeln um Deutschland herum zwischen London und Jerusalem, der Arabische Aufstand der Dreißiger Jahre und seine Folgen für das Bauen in Palästina, die Weltreise nach Amerika und der Neubeginn dort – all das lässt sich brennspiegelartig verdichtet nachlesen in den Briefen, die Erich und Luise Mendelsohn geb. Maas zwischen 1910 und 1953 austauschten.
Die Briefe ermöglichen uns heute den unmittelbaren Blick auf die Geschehnisse – von denen die Mendelsohns naturgemäß tagesaktuell und ergebnisoffen berichten. Wir, die heutigen Leser dieser Briefe, beobachten gespannt und einflusslos, wie das Paar für sich und seine Familie unter den Bedingungen ihrer Generation Entscheidungen suchte und fällte. Die Briefe offenbaren das illustre Netzwerk aus Musikern und Künstlern, Architekten und Wissenschaftlern, Industriellen und Politikern, Freunden, Kollegen und Auftraggebern, das das Paar umgab.
Zwanzig Jahre lebte und arbeitete Mendelsohn im Exil, ein Architekt, der sich selbst einen Orientalen aus Ostpreußen nannte und damit zwei wichtige Facetten seiner Existenz ansprach: sein Jüdisch-Sein und seinen preußischen Arbeitsethos, auf Grund dessen er sich und seinen Mitarbeitern stets das Äußerste abverlangte.
Vortrag Dr. Ulrich Knufinke (Wolfsburg)
Dr. Sylvia Necker (Hamburg)
Jüdische Architekten – Lebenswege
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Sylvia Necker und Ulrich Knufinke widmen sich in ihrem Beitrag der bisher wenig beachteten Professionsgeschichte jüdischer Architekten seit dem späten 19. Jahrhundert in Deutschland bis in die Zeit der Verfolgung und des Exils in den 1930er und 1940er Jahren. Sie fragen nach Ausbildungs- und Professionalisierungswegen jüdischer Architekten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und untersuchen sowohl die Phase relativ erfolgreicher Tätigkeit in der Weimarer Republik als auch die sukzessive Verdrängung aus dem Beruf ab 1933. Es geht dabei um übergreifende Fragestellungen zur Geschichte eines Berufsstands, in dem Jüdinnen und Juden in Deutschland in der Weimarer Republik eine bedeutende Rolle innehatten. Hierfür sollen biographische und berufliche Netzwerke untersucht und einzelne Bauprojekte architektur- und baugeschichtlich kontextualisiert werden. Ziel ist jedoch nicht, eine „Stilgeschichte“ jüdischer Architektur zu schreiben, sondern die Professionsgeschichte jüdischer Architekten aus der Perspektive der Zeit- und Architekturgeschichte zu erforschen.
Vortrag Claudia Marcy
Zu Martin Punitzer
Martin Punitzer (1889-1949) ist einer der zahlreichen jüdischen Architekten, die durch Berufsverbot und erzwungene Emigration in Vergessenheit geraten sind. Doch seine Bauten prägen noch heute das Stadtbild und sind Teil der modernen Architektur in Berlin. Ausgehend vom Roxy-Palast – dem Hauptwerk des Architekten – werden Leben und Werk vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Berliner Zeit und seiner Spezialisierung als Industriearchitekt. Die Emigration nach Chile und sein Versuch, sich dort unter widrigen Umständen eine neue Existenz aufzubauen, bilden den letzten Teil des Vortrags.
Vortrag Prof. Dr. Wolfgang Schäche (Beuth Hochschule Berlin)
Paul Zucker – ein vergessener Architekt
Architekt, Architekturtheoretiker, Kunsthistoriker, Journalist, Essayist und Hochschullehrer – Paul Zucker war ein Universalist, der ebenso erfolgreich Villen und Landhäuser, Geschäftshäuser und Kulturgebäude baute, wie er über die ARchitektur der Stadt, die Baukunst Michelangelos, aber auch über die Ästhetik des Verfalls und die modernen Formenwelten des Automobils schrieb. 1888 in Berlin geboren, wurde Zucker 1937 von den Nazis vertrieben. In den USA, wo er 1971 starb, gelang ihme eine zweite, große Karriere.